Die Bundesbank blickt zurück in die Gegenwart

Der Zeitpunkt der vorab veröffentlichten Ergebnisse scheint nicht zufällig zu sein. Ausgrenzung und staatliche Willkür gegen Minderheiten dürfe es nie wieder geben, so Bundesbankpräsident Joachim Nagel anlässlich der Präsentation des Forschungsprojekts am 15. März. Im Kern geht es um die Frage, „wie Zentralbanker zu willfährigen Gehilfen eines verbrecherischen Regimes wurden.“ Hierüber gibt die sehr lesenswerte und für unsere Zeit wichtige Publikation auf rund 100 Seiten umfangreich Auskunft: Von der Reichsbank zur Bundesbank – Personen, Generationen und Konzepte zwischen Tradition, Kontinuität und Neubeginn.

Ob Geschichte sich wiederholt, ist ein ständiger Begleiter gesellschaftspolitischer Analysen zur Lage in Deutschland und Europa. An vielen Stellen werden derzeit Parallelen ausgelotet: zwischen der NS-Zeit und den rechts-autoritären Strömungen, zwischen der Vorkriegszeit und den neuen nationalen Eroberungsbestrebungen. Vergleiche mit dem singulären Schrecken der Nazi-Herrschaft dürfen einer Verharmlosung niemals anheimfallen. Ein Vergleich wirkt aber auch der Tabuisierung entgegen. Er dient auch der historischen Erkenntnis, dem Diskurs, neue Schrecken sichtbar und denkbar zu machen. So zeigt die Veröffentlichung eindrucksvoll, wie aus der Mitte einer noch nicht allzu fernen Gesellschaft, hinter finanztechnischen Kulissen Funktionsträger Zentralbankmitarbeiter, Ministerialbeamte, Staatsanwälte, Diplomaten, Juristen halfen, die langfristig angelegten Kriegspläne des Regimes mit fiskalischem Know-how zu unterstützen. Die mit solchen Forschungen unmittelbar verbundene Frage lautet daher auch: Wann ist die Zeit eine andere?

Wichtige Stimme aus Frankfurt zur historischen Forschung der NS-Zeit

Die Bundesbank strebt durch das Forschungsprojekt einen umfassenden Überblick der deutschen Zentralbankpolitik an – von der Weimarer Zeit, der Währungsstabilisierung 1923/24 nach der Hyperinflation bis zum Jahr 1969 mit dem Amtsende von Karl Blessing (der letzte Präsident der Deutschen Bundesbank, der zu den engsten Mitarbeitern um Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht gehört hatte). Das Projekt leiten die Historiker Magnus Brechtken (Instituts für Zeitgeschichte) und Albrecht Ritschl (London School of Economics and Political Science) im Forschungsverbund mit einem großen Forscherteam u.a. mit Ralf Banken von der Goethe-Universität und Christopher Kopper.

Anhand der Quellenlage und den freien Zugänge zu den Archiven können die Historiker die aktive Rolle der Reichsbankmitarbeiter ohne Relativierungen klar benennen. Markus Brechtken veranschaulicht, wie ein Großteil der Reichsbankmitarbeiter ehrgeizig bei der Etablierung des NS-Staates und der Eroberungspolitik mitgewirkt habe: bei der Finanzierung der Aufrüstung, der Manipulation der Währungen, der finanziellen Ausbeutung der von Deutschland besetzten Gebiete – ebenso bei der „Verwertung“ des beschlagnahmtem Raub- und Bruchgoldes aus Vernichtungslagern und von Exekutionskommandos.

Rolf Banken: „Alles und das Letzte einsetzen“

Aufhorchen lässt das Kapitel zur Devisenpolitik von 1933-1945: Rolf Banken untersucht die Winkelzüge der Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht und Walther Funk, mit denen sie trotz immenser Auslandschulden immer wieder Gelder für den langfristig geplanten Aufbau des Rüstungsapparats beschaffen könnten. Bereits 1933 setzte Schacht die kreditfinanzierte Bewaffnung des NS-Regimes mit zunehmend radikalen fiskalischen Maßnahmen um: Ausfuhr-, Waren-, Kapitalkontrollen, Reichsfluchtsteuer etc. Zuerst wurde auf die Gold- und Devisenreserven der Reichsbank zurückgegriffen, dann auf die Clearingkredite. Reinhard Heydrich wurde 1936 Leiter des Devisenfahndungsamts. Ab 1936 musste das gesamte Auslandsvermögen der deutschen Bevölkerung herhalten, dann die Devisen von Österreich und Tschechien (nach „Anschluss“ und Zerschlagung), schließlich der Schmuck der jüdischen Bevölkerung.

Die Gegenwart verstehen: Eine Kriegswirtschaft braucht Devisen

Deutschland war auf Kriegswirtschaft getrimmt worden. Doch die Devisen seien die Achillesferse des hoch verschuldeten Regimes gewesen, so Historiker Banken. Unmittelbar nach Kriegsbeginn fiel das Regime deshalb auch über die Gold- und Devisenreserven der Nationalbanken in den eroberten Ländern her. Dies gelang in Polen, Belgien, Luxemburg, in den Niederlanden, Italien, Jugoslawien, Ungarn, Albanien.

Und heute? Der Kreml soll mittlerweile weit über ein Drittel des gesamten Staatshaushalts in die Kriegswirtschaft lenken. Zwar gelang es der russischen Zentralbank zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine, durch Stützungskäufe die Situation auf den Finanzmärkten zu stabilisieren. Doch entsteht mit der Kriegswirtschaft eine gewaltige Hypothek auf die wirtschaftliche Zukunft Russlands. Die Gelder werden in Waffen und ihren schnellen Verschleiß investiert. Türme an künftigen Reparationsansprüchen bauen sich auf. Der Hunger nach frischem Geld dürfte noch sehr groß werden. Exporteure sind bereits in Russland verpflichtet, ihre Deviseneinnahmen in die Landeswährung Rubel umzutauschen. Rund 80 Prozent der erwirtschafteten Devisen müssen bei russischen Banken deponiert und binnen Wochen im Inlandsmarkt in Verkehr gebracht werden.

Damals und Heute

Rolf Banken spricht von einer Dauerdevisenkrise, die im damaligen Deutschland um sich griff und ständig neue Zwangslagen schuf. Kriminelle Energien zum Aufbau geheimer Goldreserven und für ausufernde staatliche Regulierungen zogen weite Kreise. Deutschlands Überfälle dienten auch schlicht dem verbrecherischen Zweck Devisen zu erbeuten.

Legt man nach der Lektüre das Damals und das Heute übereinander, entsteht eine Lesart, wonach der Kreml mit Blick auf die sichtbaren fiskalischen Maßnahmen Wirtschaft und Gesellschaft auf eine langfristige militärische Konfrontation vorzubereiten scheint. Das macht kein kleiner Macht-Zirkel allein. Auch ihn werden Funktionsträger Zentralbankmitarbeiter, Ministerialbeamte, Staatsanwälte, Diplomaten, Juristen unterstützen. Und dann sind da noch die eingefrorenen 300 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU. Um diese Reserve dürfte es in naher Zukunft wohl noch sehr viel deutlicher gehen.

Bildquelle:
Deutsche Bundesbank, Hauptverwaltung in Hessen, in der Taunusanlage 5. Früher: Reichsbankhauptstelle Frankfurt/M. (bis 1948), Bank deutscher Länder (1948–1957), Deutsche Bundesbank (1957–1972).

Leseempfehlung: Von der Reichsbank zur Bundesbank
www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/studien/von-der-reichsbank-zur-bundesbank-926388