Nur wenige Tage standen auf der Hauptwache 30 aufblasbare Tetrapoden. Die Berliner Künstler Abie Franklin und Daniel Hölzl brachten ihre Wellenbrecher BYCATCH (dt. Beifang) hierher, um festsitzende Ideen zur Entwicklung von Frankfurts wichtigstem Platz etwas zu lockern.
Der erste Eindruck trügt. Energisches Bemühen für neue Sicherheitspoller ist nicht gemeint. Die Tetrapoden sind maritimen Wellenbrechern entlehnt. Seit den 50er Jahren werden sie zum Küstenschutz vor Erosion weltweit eingesetzt. Weil die vierwulstigen Tetrapoden laut Magistrat kein Oben und Unten kennen und „keine Orientierung vorgeben“, ließe sich die künstlerische Installation mit ihren unzähligen Raumhöhlen ganz individuell, tiefgründig entdecken. Ein Angebot für kollektive Reflexionen. Gesagt, getan.

BYCATCH in Frankfurt, Hauptwache 30 aufblasbare Tetrapoden
Gut und weniger gut Verträgliches
Die Aktion war trotz vorweihnachtlicher Beleuchtung und Shopping Event gut zu ertrage. Das lag an den Hyperobjekten. Ihre voluminöse Luftigkeit aus recycelbarer PVC-Folie verschiebt auf rundlich wohlige Weise allzu Vertrautes. Gut verträglich war auch die gewagte Verschiebung der meist schwimmenden, erklimmbaren, mit einem Sicherheitsnetz ausgestatteten Installation auf asphaltiertem Stadtboden. Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sonst die Aktion erklettern, den wackligen Boden im öffentlichen Raum, zwischen Stabilität und freien Fall am eigenen Leib erleben. In Frankfurt war das Klettern auf den Objekten verboten, untersagt, so brauchte es kein Sicherheitsnetz.
Kaum erträglich an der Installation BYCATCH waren die offiziellen, lapidaren Begründungszusammenhänge aus dem politischen Raum. „Das Projekt ‚BYCATCH‘ steht für Gestaltung, Begegnung und Licht – Elemente, die wir gezielt in die Innenstadt bringen…. so wird ein Einkaufsbummel oder Restaurantbesuch in Frankfurt zu einem Erlebnis in besonderer Atmosphäre… Licht schafft Wärme und verbindet Menschen emotional.“ War damit alles gesagt?
Was ist BYCATCH?
Wellenbrecher waren früher ein Synonym für den Schutz menschlicher Lebensräume. „Doch die Betonkonstruktionen haben weltweit unzählige Ökosysteme zerstört, darunter auch deutsche Küsten und Feuchtgebiete.“ Dann verweist das Künstler-Duo Franklin-Hölz auf den BYCATCH, beziehungsweise den ungewollten Beifang der Fischerei: unbeabsichtigt geangelte, gefangene und verletzte Meerestiere, die ins Meer zurückgeworfen werden und verenden. Dieser Beifang bedrohe massiv gefährdete Arten und marine Ökosysteme. Es könnten laut WWF rund 300.000 Wale, Delfine und Tümmler sein. Dann der ungewollte Beifang der Wellenbrecher: Das Wasservolumen, das sie verdrängten, würde das Verschwinden jener Orte beschleunigen, die sie eigentlich schützen wollten.
Ausdehnungen „von dramatischer Qualität“
Wie bei Franklin und Hölz zu lesen ist, beziehen sie ihre überdimensionalen PVC-Brecher auf den US-amerikanischen Literaturwissenschaftler und Philosophen Timothy Morton (2016 Ökologie ohne Natur. Eine neue Sicht der Umwelt). Er beschreibt Hyperobjekte von dramatischer Qualität, die uns sowohl vertraut als auch fremd sind, wie das Wetter, Strömungen, Licht/Strahlung oder die globale Erwärmung. „Wo Hyperobjekte auftreten, sind bereits irreversible Veränderungen eingetreten, die unseren Handlungsspielraum meistens lediglich auf Bewältigungsstrategien reduziert.“
Vor 390 Millionen Jahren krochen Tetrapoden aus den Ozeanen, um neuen Lebensraum an Land zu erobern. Nach Erschöpfung der Ressourcen seien die Nachkommen der Wirbeltiere vom Festland zurückgedrängt worden. Morton will, dass wir unsere Vorstellung und Beziehung zu nicht-menschlichen Lebewesen und der Natur als Ganzes radikal überdenken.
Ertappt! Jetzt ist passiert, was vielleicht im Dezernat für Planen und Wohnen doch beabsichtigt war: „Mit ‚BYCATCH‘ zeigen wir, welches Potenzial in unserer Innenstadt steckt und wie wir sie zu einem Ort machen, an dem man sich gerne aufhält und Frankfurt erlebt.“ BYCATCH wäre, statt launiger Atmosphäre, ein ziemlich starkes Plädoyer zum Schutz natürlicher Lebensräume auf instabil städtischem Boden und zur Reflektion über den Beifang unserer Stadt. Andernfalls war BYCATCH in Frankfurt ein BUYCATCH.